Mehr separate und vor allem sichere Radwege bauen. Diese Forderung war in letzter Zeit häufiger in den Medien. Mindestens im gleichen Takt wird mit dem Argument der Kostenexplosion dagegen polemisiert. Trotz aller Fortschritte das Radfahren attraktiver zu gestalten, sind die Gegner eines gleichberechtigten Miteinanders nach wie vor in der Mehrheit. So scheint es zumindest. Radfahrer sollen auf der Straße fahren. Es reicht ein auf den Asphalt gesprühter Streifen. Im gegenwärtigen Partei-Gefüge, hauptsächlich auf kommunaler Ebene, wird regelmäßig im Brustton der Überzeugung die zusätzliche Gefahr für den Radfahrer geleugnet. Nun ist es an der Zeit, die häufigsten Mythen über die Fahrradinfrastruktur zu zerstören.
Fahrradwege erhöhen die Verkehrsbelastung und damit die Umweltverschmutzung. Zudem nehmen separate Radwege dem Autoverkehr Platz weg – Ein Verkehrskollaps wäre die Folge.

Dies ist der wahrscheinlich am weitesten verbreitete Mythos. An diesem Beispiel lässt sich hervorragend nachvollziehen, wie sich Lügen allmählich in gefühlte Wahrheiten verwandeln. Stetige mediale Wiederholung verfestigt diesen Glauben. Zugespitzt wird dieses Argument mit einem Vergleich aus der Physik: Zwingt man Wasser in ein zu kleines Rohr, dann wird es früher oder später platzen. Die Annahme, dass aus der Wegnahme von Raum ein Verkehrskollaps resultieren soll, ist durch nichts belegt. Im Gegenteil: Flüssigkeit und Verkehr sind nicht dasselbe, wie die Verkehrspolitik der letzten 60 Jahre zeigt. Die Idee der induzierten Nachfrage ist seit Jahrzehnten bekannt. Dort wo die Infrastruktur für den Autoverkehr großzügig gestaltet ist, gibt es mehr Autoverkehr. Das funktioniert auch umgekehrt. Insbesondere gilt das für Fahrradwege. Hier wird der gleiche Raum effizienter genutzt. Insgesamt fahren mehr Menschen mit dem Fahrrad, dementsprechend verstopfen weniger Autos die Straßen.

Zwar stimmt es, dass in einigen Städten zusätzliche Radwege die Verkehrssituation verschlechtern. Allerdings zeigen Studien, dass dies auf andere Faktoren zurückzuführen ist. Vor allem ist der zusätzliche Liefer-Verkehr dafür verantwortlich. Das Wachstum des motorisierten Verkehrs ist ungebrochen. Die einzig vernünftige Möglichkeit, das Verkehrsproblem zu entschärfen, besteht darin, weniger Kraftverkehr auf den Straßen zu haben.
Außerdem werden die Radwege sowieso nicht genutzt
In den sozialen Medien scheinen wir keine fünf Posts von einem Foto entfernt zu sein, das leere Radwege zeigt. Darunter die triumphale Botschaft „Seht ihr !?“. Dem folgt schnell ein Zweites: eine rote Ampel, an der sich der Autoverkehr staut.

Das sind plumpe Versuche, den Radverkehr zu diskreditieren. Weit entfernt von der Realität. Denn rund um die Welt, in jeder Stadt, die über separate Radwege verfügt, steigt der Radverkehr unerwartet schnell an. Ein klassisches Beispiel ist Sevilla in Südspanien. Dort hat der jüngste Bau eines achtzig Kilometer langen Radwegs zu einem 11-fachen Anstieg des Radverkehrs geführt.
Radwege sind eh nur für weiße Männer aus der Mittelschicht
Das Wesen eines Mythos: Er ist niemals so wahr, wie er vorgibt zu sein. Hier stimmt er nicht einmal ein bisschen! Aber Sicher! Ärmere Menschen fahren Rad! Überall wo es Menschen gibt und Fahrräder verfügbar sind, fahren Menschen Fahrrad. Statistiken vom Verkehrsministerium in England zeigen: In London entspricht der radelnde Teil dem der Durchschnittsbevölkerung. In den USA fahren diejenigen am meisten mit dem Fahrrad die weniger als 10.000 Dollar im Jahr verdienen. Hier muss betont werden, je sicherer das Radfahren ist, desto vielfältiger und gemischter ist die Gruppe der Radfahrer. Ohne eine angemessene Infrastruktur wird das Radfahren eine Nische bleiben. Vor allem für Jene mit einem größeren Selbstvertrauen und mit der Bereitschaft sich mitten in den Autoverkehr zu stürzen.

In den Niederlanden und in Dänemark sind die radelnden Weißen Männer der Mittelschicht die absolute Minderheit. Hier radelt sprichwörtlich das ganze Land. Und dies, weil seit Jahrzehnten der Radverkehr systematisch mit dem Augenmerk auf Sicherheit geplant wurde. In deutschen Städten zeichnet sich das Radwegenetz durch kaum miteinander verbundene Radwege aus. Für eingefleischte Pendler und hartgesottene Fahrradkuriere mag das in Ordnung sein. Aber für Menschen, die unterschiedliche Fahrziele miteinander verbinden müssen, reicht das nicht aus. Die Kinder abholen, dann noch schnell zum Supermarkt, bevor es wieder zur Arbeit geht, ist so kaum möglich. Nur ein kohärentes Netz von Fahrradwegen und verkehrsberuhigter Nebenstraßen, in denen langsame Geschwindigkeiten herrschen, kann die Lösung sein.
Radwege sind schlecht fürs Geschäft – lautet ein weiterer Einwand
Einige der lautesten Gegner von separaten Radwegen sind die Einzelhändler. Sie argumentieren, dass getrennte Verkehrswege die Parkplatzsituation verschärfen. Dies sei für die Unternehmen ruinös. Dieses Argument ist an den Haaren herbeigezogen und somit grundfalsch. Städte und natürlich auch der Einzelhandel unterliegen immer schon einem Strukturwandel. Das Wachstum des Internet-Handels führt zu mehr Geschäftsaufgaben im Einzelhandel und nicht die Tatsache, dass mit dem Ausbau des Radverkehrs ein paar Parkplätze wegfallen.

Zudem zeigen Untersuchungen, dass der Anteil der Kunden, die mit dem Auto anreisen, überschätzt wird. Der Radverkehr in den Städten nimmt stetig zu. Schon jetzt ist der Anteil derjenigen höher, die mit dem Rad anreisen. Die umfassendste Studie über die realen Auswirkungen von separaten Radwegen kommt aus den USA. In New York City wachsen Unternehmen, die an separaten Radwegen liegen, im Durchschnitte schneller als jene ohne.
Separate Radwege sind für Fußgänger gefährlich
So lautet ein fünfter Kritikpunkt. Übrigens eine überraschend häufige Anschuldigung – überraschend deswegen, da ihr jede logische Grundlage fehlt. Sicher, innovative Neuerungen in puncto Gestaltung der Radwege, dürfte dem einen und anderen Probleme bereiten. Die dadurch verursachten Unfälle derart zu generalisieren, dass die Radfahrer prinzipiell eine Gefahr für Fußgänger sind, ist infam. Vieles weist darauf hin, dass das Gegenteil der Fall ist. Dort wo systematisch auf ein integriertes Verkehrskonzept gesetzt wird, sinken die Unfallzahlen mit Todesfolge.

Kraftfahrzeuge sind gefährlich. An dieser Tatsache kommen wir nicht vorbei. Durchschnittlich sterben in Deutschland jedes Jahr zwischen Null und einem Fußgänger nach einem Zusammenstoß mit einem Fahrrad. Aber mehr als 400 pro Jahr, nachdem sie von Kraftfahrzeugen angefahren wurden. Über fünfzig davon waren auf einem Bürgersteig unterwegs. Dieser Vergleich soll natürlich nicht dazu dienen, Radfahrer auf ein moralisches Podest zu heben. Es ist schlicht eine physikalische Tatsache. Als eine 100 kg schwere Fahrrad-Mensch-Kombination mit einer Geschwindigkeit von 19 km/h jemand zu töten oder zu verstümmeln ist nun mal äußerst unwahrscheinlich. In einem 1,5-Tonnen-SUV mit 35 Meilen (ca. 56 km) pro Stunde ist es jedoch schrecklich einfach.
Radfahrer halten sich eh nicht an Regeln. Die brauchen keine separaten Radwege
Diese Argumentation ist so irrsinnig, wie verwirrend. Wir sollten sie einfach links liegen. Dennoch möchte ich ein paar Worte dazu verlieren. Wir machen alle Fehler. Ob zu Fuß, dem Fahrrad oder dem Auto. Im Durchschnitt passiert ein Regelbruch mit einem Kraftfahrzeug häufiger als mit einem Fahrrad, zeigen staatliche Untersuchungen. Über einen bestimmten Zeitraum wurden Geschwindigkeits-Daten aufgezeichnet. Aus ihnen geht hervor: 52 % der Autofahrer überschreiten die Geschwindigkeitsbegrenzung in 30 km/h – Zonen. In Zonen mit einer 50 km/h Begrenzung sind es sogar bis zu 80 %. Millionen von Auto-Fahrer geben zu, am Steuer zu telefonieren. Dies sind Handlungen, die regelmäßig Menschenleben auslöschen. Radfahrer die rote Ampeln überfahren, so ärgerlich und sogar einschüchternd es auch sein mag, sind damit überhaupt nicht zu vergleichen.
Wir sind nicht die Niederlande
Der zarte Hinweis, dass die Niederlande nicht immer die Niederlande waren, reicht natürlich nicht aus, den bornierten Fahrradhasser zu überzeugen. Womöglich aber eine Rekapitulation der Entwicklung der letzten fünfzig Jahre? In den frühen 1970 er, verzeichneten die Niederländer die schlechteste Unfall-Bilanz der Welt. Der Grund ist einleuchtend. Dem zunehmenden Radverkehr wurde mehr und mehr Raum weggenommen und dem Autoverkehr zur Verfügung gestellt. Dieser Umstand führte zu Massenprotesten. Das war die Geburtsstunde einer modernen und vorbildhaften Verkehrs-Infrastruktur. Daraus lässt sich ohne große Anstrengung folgern – Es geht um den politischen Willen.
Jetzt fehlt lediglich der Fingerzeig auf das flache Land. Es scheint so, als wäre das Radfahren dort viel einfacher als hier, im hügeligen Deutschland. Beflissentlich wird aber der zweite Teil des Arguments gerne vergessen. Der kräftige und durchaus übliche Wind, der dort über das Land fegt. Gerade im Zeitalter der Pedelecs und E-Bikes, wird die Argumentation vollends abstrus.