Gesamtstrecke: 585,13 km
Es war Anfang Juli. Die Reise hatte ich diesmal in Växjö im Herzen von Småland begonnen. Ein plötzlicher Kälteeinbruch zwang mich zu einem längeren Stopp auf einem Campingplatz kurz vor Jönköping. Plötzlicher Regen, Wind in Orkanstärke und Gewitter hatten den Tag zu einer Tortur werden lassen.
Der CampingplatzLovsjöbadens, romantisch an einem kleinen See gelegen, war wie leer gefegt. Lediglich ein paar Zelte waren auf der Zeltwiese zu sehen und durch das Unwetter war der sorgfältig gemähte Rasen an vielen Stellen knöcheltief überflutet. Auf einer höher gelegenen, einigermaßen trockenen Stelle, schlug ich mein Zelt auf. Der Boden war vom vielen Dauerregen derart aufgeweicht, dass der Gang zur Toilette nasse und schlammige Füße zur Folge hatte. Nach zwei Nächten klarte es endlich auf, die Sonne lies sich blicken und ich machte mich wieder auf den Weg nach Norden.
Eine Schlammschlacht
Im südlichen Schweden sind die Übernachtungspreise noch moderat. Aber je nördlicher, desto teurer werden paradoxerweise die Unterkünfte. Glücklicherweise ist es recht einfach, schöne Plätze zum Wildcampen zu finden. Bei schlechtem Wetter genieße ich jedoch gerne eine warme Dusche und gehe auf einen Zeltplatz oder in eine Pension.
Auf einer Länge von 270 Km durchfließt der Klarälven die mittelschwedische Provinz Värmland in Nord-Süd-Richtung. Das Quellgebiet liegt im westlichen Norwegen und er mündet, weitgehend reguliert und gemächlich bei Karlstad in den Vänern. Noch zur Mitte des letzten Jahrhunderts war der Klarälven ein wichtiger Fluß für den Holztransport in dem waldreichen Gebiet. Die Baumstämme wurden im Norden einfach ins Wasser geworfen und schließlich bei Karlstad wieder herausgefischt. Dort gab es zu jener Zeit eine der bedeutendsten Holz- und Papierindustrien Schwedens.
Am frühen Nachmittag, etwa 10 Kilometer vor Jönköping, aber noch immer auf einem holprigen Waldweg, brach mein Gepäckträger. Glücklicherweise hatte ich starken Draht und Kabelbinder mitgenommen. Es gelang mir, den Gepäckträger notdürftig am Rahmen zu befestigen. So geflickt radelte ich dann an einem Sonntag Morgen nach Jönköping.
In einer Seitenstraße sah ich zufällig eine geöffnete Autowerkstatt. Zwei Männer schweißten den Unterboden eines auf einer Hebebühne aufgebockten Autos. Ich schob das Rad in die Werkstatt hinein, und als mich die Arbeiter bemerkten, grüßte ich und bat die beiden um Hilfe. Die Automechaniker kamen aus Polen. Sie sprachen kein Schwedisch, aber wir verständigten uns mit Händen und Füßen. Sie behoben schnell die Schäden, indem sie mit Spezialwerkzeug die gebrochenen Schraubenreste aus dem Gewinde holten. Und als ich sie fragte, was ich ihnen schulde, winkten sie nur ab. Ich bedankte mich und fuhr in Richtung des Strandbads weiter, das sich direkt nördlich des Stadtkerns anschließt.
Vättern
Ein Radweg führt rund um den Vättern See, dem mit 1 885,98 km² zweitgrößten See Schwedens. Dort findet die alljährliche Vättern-Rundfahrt, die sogenannte Vätternrundan, statt. Bis zu 35000 Fahrer und Fahrerinnen radeln die 300 km lange Strecke an einem Wochenende im Juni. Die Vätternrundan ist damit eine der größten Radsportveranstaltungen der Welt. Einige Kilometer nördlich von Ekeskog führt ein, mal mehr mal weniger komfortabel ausgebauter Treidelpfad, bis Mölltorp am Vänern. Die Strecke ist hügelig, ohne dabei sonderlich anspruchsvoll zu sein. Entlang des Götakanal laden zahlreiche ausladende Rasenflächen mit Feuerstellen zum campen ein. Bei Ekeskog, wo ich am späten Abend einen schönen Rastplatz an einem kleinen See gefunden hatte, bereitete ich mein Lager für die Nacht.
Wildes Zelten dank Jedermannsrecht
In den skandinavischen Ländern, aber vor allem in Schweden, gilt das Allemansrätten (Jädermannsrecht). Im freiheitsliebenden Schweden wandern und jagen die Menschen in den endlosen Wäldern und schwimmen und angeln in den zahllosen Seen. Selbstverständlich lassen sie sich von Privatbesitz nicht abschrecken, um ihre Freiheit zu leben, respektieren aber die Privatsphäre von bewohnten Häusern. Dadurch ist es problemlos möglich, sich einen einzigartigen Schlafplatz zu suchen. Da Schweden sehr wasserreich ist, gibt es vor allem in den Sommermonaten nahezu überall Unzählige der berühmten schwedischen Mücken.
Es hilft dann auch kein Mückenmittel mehr. Die lauen Sommerabende möchte ich nicht im Zelt verbringen, so bleibt mir nicht viel anderes übrig als mich mit langer Hose und Jacke zu vermummen und das stetige Summen und Stechen einfach zu ignorieren. Der Mensch gewöhnt sich wirklich an alles. Nachdem mein Zelt aufgebaut und das Essen gekocht war, genoss ich den Duft gebratener Zwiebeln.
Götakanal
Der durch den schwedischen Landesteil Götaland fließende und zwischen 1810 und 1832 von 58000 Soldaten gegrabene Götakanal ermöglicht eine durchgängige Wasserstraßenverbindung von Ost- und Nordsee. Bei Göteborg, der zweitgrößten Stadt Schwedens entwässert er in die Nord- und bei Norrköping in die Ostsee. Der Kanal passiert 58 Schleusen, 50 Brücken und fünf Seen. Der Götakanal ist bei allen Schweden als Ausflugsziel sehr beliebt. Neben Kreuzfahrten werden dort auch mehrtägige Radreisen immer beliebter. Entlang des Götakanals traf ich immer wieder auf Gruppen und einzelne Radler aus aller Welt. Die nicht sehr anspruchsvolle Strecke überwindet auf der gesamten Länge lediglich 91,5 Höhenmeter und ist bei Jung und Alt gleichermaßen beliebt.
Begegnung mit einem Seeotter
Die Nacht war etwas unruhig. Das wilde, naturverbundene Zelten hat neben dem unbestreitbaren Vorteil sich den kleinbürgerlichen Zwängen eines Campingplatzes nicht aussetzen zu müssen auch einen kleinen Nachteil: Wilde Tiere können ganz schön auf die Nerven gehen. Laut bellende Füchse trieben die halbe Nacht ihr Spiel. Auch ein Otter interessierte sich für mich. Ein Schlag gegen meine Zeltwand riss mich plötzlich aus dem Schlaf.
Das Schnüffeln hörte sich nicht nach Wildschwein an. Ich kletterte ohne Angst nach draußen. Kaum stand ich im Gras, sah ich im fahlen Mondlicht einen Otter ins Wasser tauchen.
Kristinehamn und Picasso
Nach dem Morgenkaffee radelte ich weiter bis Kristinehamn. Zwischen Gullspång und Kristinehamn ist das Ufer des Vänern mit seinen Villengebieten und privaten Stränden kaum zugänglich. Sicherlich gibt es schönere Gegenden und Landschaften, die mehr dazu einladen an der einen oder anderen Stelle zu verweilen. Dennoch führt der Radweg auch durch wilde Auen, malerische Dörfer und Wälder bis zur Mündung des Klarälven, dem längsten Fluss Schwedens. Am Nachmittag passierte ich Kristinehamn. Ich hatte noch einige Stunden bis zum Abend und schaute mir die Ausstellung von Skulpturen Pablo Picassos in Kristinehamn an.
Karlstad
Die ehemalige Festungsstadt Karlstad zählt 70000 Einwohner. Dort beginnt die Klarälvsbanan. Eine ehemalige, zu einem Fahrradweg umgebaute Eisenbahnstrecke, auf der das Kupfer- und Eisenerz aus den Minen rund um Mora, Malung und Hagfors, abtransportiert wurde. Die ausgebaute und asphaltierte Strecke zieht sich ungefähr hundert Kilometer nach Norden.
Während der Fahrt durch die Innenstadt fielen mir die zahlreichen jungen Menschen auf, die es sich am Ufer des Klarälven gut gehen ließen. Mehr als ein Viertel der Bewohner ist unter 25 Jahre alt.
Die am breiten Mündungs-Delta des Klarälven gelegene Universitätsstadt besitzt einen mittelalterlichen Stadtkern, viele Brücken und kleinere Parks. Ich fuhr noch weiter in Richtung Skår und fand auch bald einen Schlafplatz, der aber wenig attraktiv gelegen war. Lediglich einige Meter vom Radweg entfernt und am anderen Ufer eine viel befahrene Hauptstraße.
Klarälvsbanan
Die früher zur Nordmark-Klarälvens Railways gehörende und zwischen Karlstad und Hagfors gelegene, stillgelegte Bahntrasse, wurde in den 1990 er Jahren zu einem 90 Km langen, komplett asphaltierten autofreien Radweg umgebaut. Sie wird für allerlei Outdoor Aktivitäten wie Ausflüge mit Kindern, Inline-Skaten und Roller-Ski genutzt. Bei Hagfors schließt sich der 120 Kilometer lange und bei Sysslebäck endende Klarälvsleden an.
Land von Pipi Langstrumpf
In diesem liberalen Land, wo Menschen ohne jemandem zu begegnen stundenlang durch die Natur wandern. Freiheit und Weite. Värmländ ist in dieser Hinsicht besonders eindrucksvoll. Natürlich gibt es Landwirtschaft. Schließlich ist Värmland die Kornkammer Schwedens. Vor allem südlich und östlich von Karlstad findet ausgedehnte Landwirtschaft statt. Aber schon einige Kilometer nördlich von Karlshamn, verwandelt sich die offene und mit saftigen Wiesen bestückte Landschaft. Es wird schnell bergiger. Dichte Fichten- und Tannenwälder dominieren das Bild. Dazwischen der mächtige Klarälven und zahlreiche grüne Täler und größere Seen. Das Wasser ist kristallklar und kalt. Herrlich, ein Bad in der Nachmittagssonne. Eine phantastische in Büchern aufgehobene Welt, die Astrid Lindgren Freunde auf der ganzen Welt durch die Kindheit begleitet, wird plötzlich Wirklichkeit
Rådasjön
Die letzten beiden Tage war ich viele Kilometer geradelt. Ich fühlte mich beim Aufwachen schlapp und träge. Die Sonne stand schon über den Baumwipfeln. Mehr als elf Stunden hatte ich geschlafen. Zum üblichen Morgenkaffee aß ich ein vom Abend übrig gebliebenes Brötchen und ließ mir Zeit mit dem Packen meiner Sachen. Radelte dann über Munkfors bis Uddeholm. Am späten Nachmittag erreichte ich Rådasjön. Das Wetter war wunderbar. Kaum ein Wölkchen trübte den Horizont. Es war nicht zu warm gewesen. Ideales Fahrradwetter. Dennoch waren es die härtesten 90 Kilometer seit längerem gewesen. Die permanente Steigung und der stetige Gegenwind forderten ihren Tribut. In Uddeholm aß ich in einem Restaurant zu Abend und fand schließlich an einem Stückchen Strand ein ruhiges Plätzchen für das Zelt. Las noch Wilhelm Moberg und schlief selig ein.
Hagfors, Gustavsfors, Äppelbo und Sillerö bei Malung. Das waren die letzten Orte auf meiner Reise. Die hundert Kilometer lange Strecke war noch einmal anstrengend, denn aufgrund des bergigen Geländes musste ich noch einige Höhenmeter zu überwinden. Ich wollte die Reise eigentlich in einem Hotel oder einer Pension ausklingen lassen. Allerdings waren die Gasthäuser und Ferienwohnungen alle belegt, so dass mir nichts anderes übrig blieb, als mir am Busjön einen Schlafplatz zu suchen.